Petra Reichensperger
Frau Reichensperger, Sie haben Kulturwissenschaften studiert, Sie unterrichten selbst, sind als freie Kuratorin tatig gewesen, haben als Grundungsmitglied von Kunstverein Neue Berliner NGBK (Neue Gesellschaft fur Bildende Kunst) agiert. Sie haben auch zahlreiche Fuhrungen und Publikationen und Forschungen gemacht, und Sie unterrichten auch selbst an der Hochschule der Kunste in Berlin, an der ehemaligen Ost-Berliner Kunsthochschule, was heute Berlin Wei?ensee hei?t, aber auch in Dresden.
Vielen Dank, dass Sie Zeit gefunden haben fur dieses Interview. Sie haben bestimmt gro?e Erfahrungen gesammelt, was es geht mit den jungen Studenten zu arbeiten und den theoretischen Diskurs nahe zu bringen.
Konnen Sie uns bitte sagen, im heutigen Zeitgenossischen Kunstbetrieb, ist das der Grundstein - das Kennen der Theorie und das Kennen von, sagen wir, Philosophie fur den anfangenden Kunstler?
Meiner Meinung nach, es ist immer noch ausschlaggebend fur die Karriere eines bildenden Kunstlers, der sehr konsequent und radikal sich eine eigene grammatikalische also damit auch wieder erkennbare Sprache erarbeitet. Und ich kann mir vorstellen - das ist das, wovon ich uberzeugt bin – dass ein gewisses theoretisches Grundrustzeug ermoglicht, die eigene Arbeit zu reflektieren, aber auch sie zu radikalisieren.Denn die Kenntnisse und die Geschichte ermoglicht einem naturlich genau zu wissen, worauf man Bezug nimmt und das etwas weiter zu treiben als moglicherweise bildende Kunstler es in den 60er-70ern bereits getan haben. Insofern halte ich es fur Unheil, lasslig diese Brucke zu schaffen und auch gerade in Bezug auf die Starkung der Offentlichkeit, dieses wechselseitige Verhaltnis der Anerkennung der Kunst unter Offentlichkeit, dafur ist naturlich Philosophie fast unerlasslich.
Sagen Sie, dass Philosophie was Wunderbares ist, das anerkennt heute man immer, aber wenn man direkt eine Frage stellt „Wo soll man anfangen?“, selten findet man eine Person, die direkt auf einige Leute aufweist oder auf einige Bucher. Man fangt immer von dem ganzen Komplex an, den man erstmal sich aneignen muss. Wenn ich Sie jetzt wirklich fragen wurde: „Bitte, bitte, stellen Sie sich vor, ich fange erst an. Wo soll ich anfangen?“
Ich wurde tatsachlich bei Philosophen wie Derrida anfangen, dessen Eigentumlichkeit vor allem darin besteht, Fragen zu stellen, und sie immer wieder neu zu stellen, und sich dabei aber auch auf das Geschichtsvokabular zu beziehen. Und insofern wurde ich weniger, auf ein Philosophen-naheliegender Versuch sehr viele Antworten zu geben, sondern jemand, der dafur steht, fur die unbedingte Universitat einzutreten und fur jemand, der sich und seine Zeitgenossen und auch seine Vorfahren befragt.
Also Sie raten wirklich, mit Derrida anzufangen?
Tatsachlich.
Muss man erst wirklich Franzosisch beherrschen? Oder kann man auch hoffen, dass man von dem Buch, das gerade noch ubersetzt ist, auf Russisch, nehmen wir an, die Grammatologie und vielleich noch einige andere, man kann von einem Buch herausgehen in der fremden Sprache und in dem Werk Derridas sich einfinden?
Also ich glaube, dass es im 21. Jahrhundert, in dem wir nun leben, es nicht mehr unbedingt der Originalsprache bedarf, sondern tatsachlich die Ubersetzung ein hohes Niveau haben, so dass auch eine Ubersetzung sehr wunschenswert ist.
Sie unterrichten zur Zeit in Berlin an der Universitat der Kunste, und Sie leiten da ein Seminar. Was denken Sie, wie viele von ihren Studenten haben tatsachlich Derrida rezipiert?
Ich wurde sagen, ein ganz kleiner Bruchteil. Vielleicht ein Viertel. Allerdings an der HfBK Dresden verhalt es sich ganz anders. Dort habe ich die Grammatik des malerischen Buchstabierens geleitet und biete in diesem Semester die Archaologie des Zukunftigen an, und dort findet eine Fortfuhrung der Derrida-Lerture statt, aber in Bezug auf die bildende Kunst und auf die eigene Sprache, die es herauszubilden gilt.
Sie haben eine Erfahrung von Universitaten in verschieden Stadten, sowohl vom ehemaligen Ostdeutschland, als sagen wir von Ostblocklandern, wie auch zum Beispiel in Westberlin (HDK ). Konnten Sie sagen, dass in verschiedenen Stadten verschiedene Herangehensweisen von Unterrichtmethodik sind? Sagen wir, in Berlin muss das alles effizient und schnell und nach irgendwelchen Parametern des Erfolgs funktionieren, und im Osten versucht man sich noch richtig in die Theorie einzufuhlen oder nimmt man sich die ganze theoretische Basis als etwas Fremdes und deswegen etwas studiumswurdiges mehr an?
Also die Erfahrung, die ich machen konnte - sowohl als Studentin, als jetzt auch als Lehrende – ist, dass es weniger sich vielleicht auf die Achse Ost-West begrundet, die unterschiedlichen Herangehensweisen der Studenten, sondern viel mehr darauf, ob man in einer gro?en Stadt ist mit viel Angebot oder in einer kleinen Stadt. Zum Beispiel, in Dresden ist es tatsachlich so, dass die Angebote, die von den Lehrenden gemacht werden, von den Studenten eigentlich aufgesogen werden. Wie ein trockener Schwamm wieder nach, die sich unglaublich glucklich schatzen, neue Dinge zu erfahren. Dort ist es viel wichtiger. Wenn man jetzt zum Beispiel an den Kunstler John Baldessari denkt, der damals auch in seiner Universitat unterrichtet hat und mit einem Koffer gekommen ist mit den neusten Ausstellungkatalogen und Rezensionen beispielsweise aus Europa, und damit waren seine Studenten einfach immer besser informiert, als andere in den USA.
Frau Reichensperger, Sie haben selbt promoviert in der oberasthetischen Praxis, und wenn man in die Liste schaut von den Arbeiten, die Sie geleistet haben, kann man, ich hoffe, einen Schwerpunkt setzen, und ich werde dann nicht falsch in meiner Schatzung, auf Aktionskunst, auf Praxis, auf eigentlich sehr lebendige Kunstformen. Kann man auch dann sagen, dass man wirklich mit der Theorie anfangen kann, die wirklich heute entsteht, ohne einen gro?en Akzent aufs Historische zu setzen, auf den Vorlauf, und richtig in diesen Schaffensprozess und die Rezeption von den heute entstehenden Diskussion praktisch sich einleben und einbewegen. Wurden Sie so etwas auch den Studenten vorschlagen konnen?
Wurde ich sofort unterstutzen. Ich habe mich gerade gestern wieder anlasslich unseres Interviews unterhalten, unseres Gespraches, mit den Studenten an der UDK , und dort wird haufig doch der Aspekt vermisst, dass die Lehrenden sich zu sehr auf die Konzepte 60er Jahre zu sehr auf die Moderne konzentrieren und viel zu wenig die aktuellen zeitgenossischen Positionen zu Positionen stellen. Und daher versuche ich tatsachlich meistens ein generationsubergreifendes Angebot zu schaffen und in mein Semester, in mein Seminar zu integrieren.
Aus meinen Studiumszeiten mochte ich ein Beispiel bringen und nach Ihrer Meinung fragen. Und zwar ein befreundeter Kunstler hat systematisch erste zwanzig Tage jeden Monat den aktuellen Kunstzeitschriften gewidmet, und in den restlichen zehn Tagen versuchte er, mit eigener Kunstproduktion auf diese Diskussion zu reagieren. Kann man sagen, dass ahnliche Proportionalisierung von theoretischen und praktischen Arbeiten ist richtungsweisend heute?
Wenn man den aktuellen Markt sieht, wo die Dominanz der Malerei ganz stark ist, ware dem zu widersprechen, aber ich personlich glaube langfristig und nachtraglich wird so sein, wie Sie das gerade vorgestellt haben.
Sagen Sie, wenn Sie schon den Begriff Malerei benutzen: wenn man Interviews oder Prasentationen von ganz bekannten zur Zeit deutschen Malern nimmt, Neo Rauch oder Franz Ackermann, eigentlich findet man sehr selten theoretische Diskurse oder irgendwelchen Bezug auf Philosophie. Meistens Leute erzahlen uber eigene Wunsche, man erzahlt uber eine eigene Geschichte und eigentlich wird dann der Erfolg thematisiert. Widerspricht das nich eigentlich dem Ansatz, dass man wichtig und sehr wohl Theorie und Philosophie benutzen muss, um eine eigene Karierre zu gestalten?
Ich glaube tatsachlich, dass es noch Unterschiede gibt innerhalb der Gattung. Das bedeutet, dass konzeptuelle Kunste sich vielleicht tatsachlich mehr mit Theorie auseinander setzen, wenn man einen Maler wie Daniel Richter zum Beispiel ins Feld fuhrt, dann merkt man sehr wohl, dass er ungemein gebildet ist und in allen moglichen Bereichen genau im Pop- und Trashbereich, aber auch in philosophischen Bereichen, und das in Interviews und in seiner Malerei zur Sprache kommt.
Wurden Sie dann sagen, dass einer moderner Kunstler ist eher ein Phanomen, der erklarungsbedurftig ist oder ist ein Intellektueller, der selbst agiert, also Manipulator oder Aktualisator ist?
Das ist sehr schwierig, weil im Moment gehen die Fragen immer so auf das bipolar... Ich wurde sagen, dass ein Kunstler durchaus immer eine Vorbildfunktion hat, weil er etwas voran bringt. Und das zeichnet ihn denn ja tatsachlich aus, dass er diese Etikette „Kunstler“ von der Gesellschaft uberreicht bekommt, weil dass ist ja eine Sache, wenn man studiert an der Universitat und man lasst sich so zu sagen in bildender Kunst ausbilden, oder ob irgendwann die Wurdigung von der Offentlichkeit statt findet, indem man als bildender Kunstler rezipiert und diskutiert wird.
Frau Reichensperger, Sie selbst haben aber auch Kunst gemacht und, soweit ich aus Ihrem CV sehen kann, haben 1990 sogar einen Nachwuchs-Forderungspreis bekommen fur die Video-Arbeit. Wie ist dann gekommen, dass Sie kunstlerische Tatigkeit zugunsten theoretischer Tatigkeit oder Analyse verworfen haben oder erstmal zur Seite gelegt haben?
Ich glaube tatsachlich, dass mir ein Stuck weit die eigene Uberzeugung gefehlt hat, das kunstlerische Werk wirklich bis zur Eigenstandigkeit voran zu treiben. Dass man ein Kunstler sein kann, der das Gluck hat bis 40 gefordert zu werden, die Stipendien zu erlangen, halte ich fur moglich, wenn man nicht ganz untalentiert ist oder nicht ganz unvorgebildet. Aber wenn man den Anspruch an sich selber hat, wirklich gute prazise Kunst zu machen, dann hangt es sehr von der Personlichkeit ab, ob man vielleicht das mitbringt aber auch, ob man sich das zutraut. Und in meinem Feld war fur mich gerade das kuratorische Arbeiten, was durchaus eine Verbindung hat, eine Art Bruckenfunktion zwischen Theorie und Praxis, eine Moglichkeit, womit ich diese Hoffnung verbunden habe, dass das kreative Potential und dieses schopferische Potential noch eingelost werden kann.
Sie haben ein sehr wichtiges Thema jetzt angesprochen – die Forderung von Kunstlern. Daraus wurde ich zwei Fragen leiten. Die erste ist eine ganz aktuelle Frage: zu welchem Grad muss im Unterrichtsprozess selbst der Wechsel, der statt findet von Hochschulen, als staatlich unterstutzten autonomen Institutionen, was wir gewohnt sind eigentlich und noch von unseren Studienzeiten vielleicht kennen, zu Unternehmen, die Dienstleistungen bieten, in Betracht genommen werden? Also praktisch der Wechsel der Hochschulstruktur selbst, bringt das irgendwie einen Zwang, Anderes zu unterrichten?
Es ist zu beobachten, dass dieser Zwang eintritt. Es gibt ja mittlerweile durch die Umstellung von Bachelor und Master, werden Klausuren geschrieben, die Studenten mussen Protokolle von Vorlesungen mitschreiben. Und wahrend ich irgendwie immer noch die idealistische Uberzeugung habe, dass man die Studenten tatsachlich uber andere Aufgaben und uber spanende Programme fesseln kann. Und auch durch ein Vertrauen, dass man ihnen schenkt. Wenn beispielsweise die erste Reaktion ist auf einen philosophischen Text „das ist zu schwer“, „wie kann ich mir das Vokabular von Autonomie, Aura erarbeiten?“, dass man bestimmte Brucken bietet, auf das historsche Worterbuch der Philosophie verweist, bestimmte PDF-Texte direkt an den Studenten schickt, und das erleichtert ja die heutige Zeit ungemein, diese viel starkere Moglichkeit der Zusammenarbeit. Also ich glaube, es gibt andere Formen, als die des Protokolls und der Klausur, die genau so gut und sinnvoll sind fur Studenten.
Und Sie haben es nicht erlebt, dass jemand sagt „Jetzt habe ich 3 Jahre, ich muss jetzt trainiert werden fur einen Profi, der uberleben kann, der agieren kann. Ich hatte gerne eher ein Training in Rhetorik und Korpersprache und wie man Leute uberzeugt, als schwere philosophische Texte, die man erstmal zwei Jahre lang lieber zweimal lesen kann lieber in Originalsprache“.
Ich glaube, das ist gar kein Schaden ein Paar Rhetorik-Kurse zu machen, und dieser Wunsch, der uberfallt vielleicht den einen oder anderen unabhangig von seiner Profession.
Und meine zweite Frage angehend an das Topic von Forderung, dass Sie angesprochen haben, Heutzutage, wenn immer weniger Gelder da sind und immer viele Reize und immer viele Sachen zu tun sind, wenn ein Student Sie fragen wurde, was soll er als Erstes beherrschen: eine gute englische Sprache, um zu kommunizieren uberhaupt, die Webseitengestaltung, um sich irgendwie prasent zu machen oder soll er den poststrukturalistischen Diskurs beherrschen, damit er auch mit den anderen Leuten auf richtigem Niveau kommunizieren konnte?
Na ich wurde fur Erstes und Drittes pladieren und tatsachlich etwas wie die Gestaltung einer Webpage – das wurde ich doch dann anderen Leuten uberlassen, denn das kann ja dann auch wieder in Zusammenarbeit mit anderen Personen, gemeinsam mit dem Kunstler erarbeitet werden. Aber um Englisch und bestimmtes theoretisches Rustzeug wurde ich nicht herumkommen.
Konnten Sie auch nennen, welche theoretische Disziplinen unterrichtet werden sollten, abgesehen von Philosophie selbst?
Kunsttheoretische Texte, weil es ja auch auffallig ist, das im Gegensatz zu einem geisteswissenschaftlichen Stгdiengang, wenn man jetzt am Anfang die Referatsthemen bespricht, ganz auffallig ist, dass viele Studenten gerne kunstlerische Positionen vorstellen, aber sich haufig nicht zutrauen, kunsttheoretische Bucher vorzustellen. Und ich glaube aber, dass auch dieses Vertrauen gestarkt werden kann, und auch die Literatur. Also jemand wie Marine Strebowitz, jemand wie Christian Kraft – ist durchaus sehr spannend zu behandeln, beispielsweise wenn man Kunstlerinterviews anbietet.
Sagen Sie, konnten Sie auch sagen, dass die zeitgenossische Kunst eine autonome Sprache ist, die man mit Common Sense gar nicht begreifen kann, man soll erstmal lernen, diese Sprache zu sprechen? Oder kann man als Outsider, wenn man begabt ist, wenn man uberzeugt ist, jemand was zu sagen, hat sehr wohl da Fuss zu halten?
Ich glaube, dass es nicht nur an eine Vorbildung gebunden ist, sondern durchaus auch an eine Generationsfrage, ahnlich wie es sich mit der Musik verhalt. Es gibt bestimmte Geschmacksrichtigung, die zu einem bestimmten Alter auf welcher mysteriovollen Weise starker Beachtung finden. Und vielleicht ist es in dem Fall eher ein intuitiver Zugang, und danach kann es eben ausgebildet werden.
Sagen Sie bitte, Sie haben in Berlin ein Projekt geleitet, das sich um Alexanderplatz handelte, und da waren 15 Kunstler integriert aus Berlin und aus Danemark. Fuhlen Sie auch verschiedene Landerunterschiede, oder kann man da sagen, dass die Kunstler heute eben kommunizieren konnen und die gleiche Thematik behandeln?
Ich finde, dass die Unterschiede zwischen den Landern glucklicherweise noch enorm sind. Das betrifft genauso Deutschland-Frankreich oder Ungarn-Deutschland und auch Danemark und Deutschland, denn Danemark geht es aus unserer Sicht her ungemein gut, und dementsprechend ist es eigentlich wunderbar, dass dort noch ein viel sozialistirisches Gefuhl herrscht und ein Gut-Mensch-Gefuhl herrscht, als hier so zu sagen es zu entdecken ist.
Also Sie finden, dass die Unterschiedlichkeit ein Vorteil ist und kein Problem?
Absolut, absolut.
Frau Reichensperger, ich bedanke mich fur das Interview und ich wunsche Ihnen weiterhin viel Kraft mit Studenten, beim Lehren Ihr Wissen und Ihre Uberzeugung zu vermitteln. Danke sehr.
Herzlichen Dank.
|